Ostdeutschland abgekoppelt? – Norse-Ausstieg verschärft Debatte um Flugverkehr

se Atlantic streicht zumindest für den Winter ihre Flüge von Berlin nach New York und Miami. (Foto: Günter Wicker | Flughafen Berlin Brandenburg GmbH)

Der Rückzug von Norse Atlantic Airways vom Flughafen BER rückt einmal mehr die strukturellen Schwächen Ostdeutschlands in der internationalen Luftverkehrsanbindung ins Rampenlicht. Obwohl Politik und Wirtschaft seit Jahren auf mehr Langstreckenverbindungen drängen, bleiben die Rahmenbedingungen schwierig: Hohe Standortkosten, das Fehlen eines starken Homecarriers und der hart umkämpfte Nordatlantikmarkt machen den Langstreckenbetrieb kaum attraktiv – mit spürbaren Konsequenzen für die Hauptstadtregion und ganz Ostdeutschland.

Norse Atlantic Airways, eine auf transatlantische Billigflüge spezialisierte Airline, hat vorige Woche angekündigt, ihr Angebot auf Flügen in die USA im Winterflugplan 2025/26 um 52 Prozent zu reduzieren. Besonders betroffen ist Berlin: Denn hier fallen die Norse-Verbindungen nach New York (JFK) und Miami künftig weg. Damit verschwindet Norse im Winter vollständig aus der deutschen Hauptstadt. Ob die Airline im darauf folgenden Sommerflugplan wieder Berlin ansteuern wird, ist derzeit noch offen.

Auch andere europäische Städte sind betroffen: Die Strecken von Athen und Paris nach New York-JFK werden aus dem Winterflugplan gestrichen, und ab London-Gatwick reduziert die Fluggesellschaft die Kapazität auf verschiedenen Routen, fliegt seltener nach Orlando und New York.

Politische Forderungen nach besserer Anbindung

Schon ein Jahr vor dem Rückzug von Norse Atlantic machten ostdeutsche Regierungschefs auf ein strukturelles Ungleichgewicht im deutschen Luftverkehr aufmerksam: Die internationale Anbindung Ostdeutschlands hinkt der westdeutschen deutlich hinterher. Die Ministerpräsidenten forderten im Februar letzten Jahres eine bessere Anbindung ihrer Länder an den interkontinentalen Luftverkehr. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) kritisierte, dass von westdeutschen Flughäfen täglich 172 Langstreckenflüge starten, während es in ganz Ostdeutschland lediglich drei sind, die über den Flughafen Berlin-Brandenburg abgewickelt werden. „Damit ist die Region fast komplett vom interkontinentalen Luftverkehr abgeschnitten. Das darf nicht sein“, erklärte Wegner.

Das ist ein ungutes Missverhältnis zulasten der ostdeutschen Regionen.
Kai Wegner (CDU) | Regierender Bürgermeister Berlin

Im April erneuerte Wegner seine Forderung. „Wir brauchen endlich mehr interkontinentale Flugverbindungen vom Flughafen Berlin-Brandenburg aus“, sagte er nach den Beratungen beim Treffen der Ministerpräsidentin und Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder in Berlin.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) fordert mehr Langstreckenverbindungen am BER. (Foto: Dr. Frank Gaeth | CC BY-SA 4.0)

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) äußerte sich ähnlich und bezeichnete die geringe Zahl von Langstreckenflügen als historische Unwucht“ und forderte, dass nicht alles über Frankfurt abgewickelt werden müsse. Haseloff hob hervor, dass Berlin eine Leuchtturmfunktion für die umliegenden Länder habe und eine bessere Anbindung auch für Investitionsentscheidungen im Osten entscheidend sei.

Hoffnung auf politische Kehrtwende – doch konkrete Schritte fehlen

Deshalb setzten sich auch die ostdeutschen Ministerpräsidenten gegenüber der Bundesregierung dafür ein, das Langstreckenangebot in Ostdeutschland auszubauen und zusätzliche Start- und Landerechte im Frachtverkehr zu schaffen. Mit der SPD-geführten Bundesregierung war das aber nicht zu machen. Erst mit dem neuen von CDU/CSU und SPD vorgestellten Koalitionsvertrag hat die Branche nun wieder Hoffnung. Vor allem die vorgesehene Rücknahme der Erhöhung der Luftverkehrsteuer aus dem vorigen Jahr ist dem Bundesverband der Deutschen Luftfahrtindustrie (BDI) zufolge ein erster notwendiger, aber noch nicht ausreichender Schritt.

Die steuerliche Belastung ist tatsächlich einer der zentralen „hemmenden Faktoren“, den Politiker und Wirtschaftsvertreter schon seit Jahren kritisieren. Aber auch die hohen Gebühren und Entgelte stehen immer wieder in der Kritik – insbesondere jene am BER. Diese Kosten wirken abschreckend auf Airlines, die den Markteintritt erwägen, insbesondere auf solche mit einem Geschäftsmodell, das auf Lowcost setzt. Zuletzt hatte auch der neue EasyJet-Chef Kenton Jarvis die hohen Standortkosten in Deutschland für das schleppende Geschäft seiner Airline in Deutschland verantwortlich gemacht.

Steuern und Gebühren im internationalen Vergleich ein Nachteil

Tatsächlich summieren sich Flughafengebühren, Sicherheitsentgelte, Luftverkehrssteuer und andere Abgaben an deutschen Airport schnell zu einer erheblichen Belastung, die im internationalen Vergleich oft als überdurchschnittlich gilt. Während Staaten wie die Niederlande, Spanien oder die Vereinigten Arabischen Emirate gezielt Subventionen oder Rabatte anbieten, um Langstreckenverbindungen zu fördern, sehen sich Airlines in Deutschland mit einem komplexen, kostenintensiven Umfeld konfrontiert – ohne entsprechende Kompensation und oft in einem hochkompetitivem Umfeld.

Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig!
Aletta von Massenbach | BER-Flughafenchefin 

Auch die Flughafengesellschaft selbst schlägt inzwischen Alarm. „Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig“, erklärte BER-Chefin Aletta von Massenbach im März bei der Landespressekonferenz in Potsdam. Die Abfertigungsgebühren für Langstreckenflüge seien mit fast 23.000 Euro am BER so hoch wie an keinem anderen Flughafen Europas. Für innereuropäische Verbindungen liegt der BER mit über 7.000 Euro ebenfalls am unteren Ende des internationalen Vergleichs – nur der Flughafen Wien schneidet hier schlechter ab. Zwar seien die eigentlichen operativen Flugentgelte vergleichsweise günstig, betonte von Massenbach, doch die staatlichen Belastungen machten den Unterschied.

„Ohne deutliche Entlastungen bei der Luftverkehrssteuer und anderen staatlichen Belastungen ist die adäquate Anbindung des Wirtschafts-, Kultur- und Touristikstandorts Berlin-Brandenburg an Europa und die Welt in Gefahr“, so die BER-Chefin weiter. Die Luftverkehrsinitiative Berlin-Brandenburg fordert deshalb von der Politik konkrete Maßnahmen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts nachhaltig zu stärken – auch mit Blick auf internationale Konkurrenzstandorte.

Der Flughafen Frankfurt/Main ist das wichtigste Luftfahrtdrehkreuz in Deutschland. (Foto: Fraport AG)

Auch Wirtschaft drängt auf mehr internationale Verbindungen

Die Debatte um diese Kosten ist dabei nicht neu: Seit Jahren werden von der Bundesregierung Entlastungen gefordert, um Flughäfen auch außerhalb der großen westdeutschen Drehkreuze Frankfurt und München attraktiver zu machen. Dazu gehören Forderungen nach einer Abschaffung oder zumindest Reduzierung der Luftverkehrssteuer sowie einer Umgestaltung der Gebührenordnung, etwa durch gezielte Anreize für neue Langstreckenverbindungen ab strukturschwachen Regionen wie Ostdeutschland.

Diese gezielten Anreize forderten auch die ostdeutschen Wirtschaftsverbände im vorigen Jahr – angemahnt wurde dabei auch der weitere Ausbau der Infrastruktur am BER und am Flughafen in Leipzig-Halle. Wirtschaftsvertreter aus allen sechs ostdeutschen Bundesländern haben argumentiert, dass neue Langstreckenflüge ein „Wachstumsmotor „sein könnten und allein eine zusätzliche Langstreckenverbindung bis zu 250 zusätzliche Unternehmensbeziehungen nach sich ziehen kann.

Mehrere internationale Airlines, darunter Emirates, hätten den ostdeutschen Industrie- und Handelskammern (IHK) zufolge Interesse signalisiert, Flüge aufzunehmen. Emirates könnte zum Beispiel einmal täglich ab und von Berlin fliegen, so die Kammern. Dazu bräuchte es allerdings die politische Unterstützung der Bundesregierung für die Neugestaltung der bilateralen Luftverkehrsabkommen, um weitere Flugrechte für die Hauptstadtregion auszuhandeln und zu genehmigen.

Partnerschaft mit Condor wird zur Berlin-Lösung für Emirates

Flüge von Emirates gibt es aus einer Vielzahl an Gründen bislang zwar nicht. Aber rechtzeitig vor dem Start der Sommersaison 2025 haben Condor und Emirates ihre gegenseitige Codeshare-Partnerschaft offiziell aktiviert. Condor zufolge erweitert die Vereinbarung die Reisemöglichkeiten für Kunden beider Fluggesellschaften und bietet einen einfacheren Zugang zu weltweiten Reisezielen. Demnach besteht ab sofort eine Codeshare-Partnerschaft zwischen beiden Fluggesellschaften zu insgesamt 74 Zielen. Das Abkommen gilt für Flüge über Düsseldorf, Frankfurt und Hamburg sowie Dubai. Die Condor-Verbindung zwischen Berlin und Dubai fällt also nicht unter das Codeshare-Abkommen beider Fluggesellschaften.
Die Condor-Flüge sind aber dennoch als Zubringerflüge zum internationalen Netzwerk der Airline aus den Emiraten zu verstehen. Ab dem 3. November plant Condor zudem eine Verdopplung der täglichen Flüge nach Dubai, von bisher einem auf künftig zwei Verbindungen pro Tag.

Das größere Angebot in Richtung Dubai mag den Zugang zu internationalen Flugzielen zwar grundsätzlich verbessern. Attraktive Direktverbindungen oder praktische Umstiege durch das Codesharing bleiben deshalb aber trotzdem Mangelware am BER. Die Entscheidung von Norse, sich aus Berlin zurückzuziehen, kann deshalb durchaus als Indikator für die strukturellen Schwächen des Standorts gewertet werden. Eine Lesart könnte sein, dass dem Luftverkehr in Ostdeutschland ohne eine Reform der Gebühren- und Entgeltordnung der weitere Bedeutungsverlust drohe.

Marktmechanismen treffen strukturelle Schwächen

Doch der Norse-Rückzug ist mitnichten nur mit den schwierigen Marktbedingungen in Deutschland zu erklären. Auch die Komplexität der aktuellen Situation im transatlantischen Luftverkehr muss ins Auge genommen werden. Inzwischen haben europäische Fluggesellschaften wie Lufthansa und Air France-KLM einen Rückgang der Buchungen für transatlantische Flüge festgestellt, was auf Unsicherheiten bezüglich der US-Einreisepolitik und wirtschaftlicher Bedenken zurückzuführen ist. Air France-KLM-CEO Ben Smith bemerkte, dass Reisende Klarheit suchen, bevor sie sich für Reisen in die USA entscheiden.

Die Unsicherheit der Reisenden bekommen nun vor allem Airlines zu spüren, die sich auf preisbewusste Freizeit- und Urlaubsreisende konzentrieren – so wie eben Norse Atlantic Airways. Hinzu kommt, dass der Nordatlantik traditionell einer der am meisten umkämpften Luftverkehrsmärkte der Welt ist, dominiert von großen Allianzen und Netzwerkträgern wie Lufthansa, Delta, United oder British Airways, die von starken Drehkreuzen aus operieren und dort mit hoher Frequenz, Premiumangeboten und vielen Umsteigeverbindungen punkten können.

Schwierige Aussichten in Berlin

Für eine vergleichsweise kleine Airline wie Norse Atlantic, die vom BER fast ausschließlich auf Punkt-zu-Punkt-Verkehr angewiesen ist, ist es in einem solchen Umfeld zunehmend schwierig, profitabel zu operieren. Gerade Städte wie Berlin, die über keine etablierte Drehscheibe – egal ob auf Lang- oder Kurzstrecke – verfügen, bieten nur begrenztes Feed-Potenzial, Passagiere aus der Region oder angrenzenden Märkten zuzuleiten. Das macht es für Airlines besonders schwer, Strecken ohne Umsteigemöglichkeiten dauerhaft erfolgreich zu betreiben.

Deshalb bleibt der Großraum Berlin und auch Ostdeutschland trotz der Forderungen aus der Region, der Wirtschaft und der Politik im interkontinentalen Luftverkehr unterrepräsentiert. Daran wird sich auch solange nichts ändern, bis es einem Anbieter gelingen wird, Nachfrage, Kostenstruktur und Wettbewerb unter einen wirtschaftlichen Hut zu bekommen. Ohne gezielte politische Unterstützung für ein solches Vorhaben, dürften sich die Airlines aber vorerst in anderen Regionen nach potenziellen Destinationen umschauen.

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