Drohnenalarm: Warum Deutschland aufrüstet und trotzdem blind bleibt

Obwohl Drohnen längst ein reales Sicherheitsrisiko darstellen, herrscht vielerorts technischer Stillstand – und im Ernstfall Unklarheit, wer eigentlich zuständig ist. (Fotomontage: Luftraum Ost/Canva)

Drohnen zwingen immer wieder Flughäfen in den Notmodus: Starts gestoppt, Terminals geräumt, Passagiere gestrandet. Während die Bundesregierung den gesetzlichen Rahmen schärft, suchen Fluglotsen oft noch mit dem Fernglas den Himmel ab – und scheitern dann an verwirrenden Zuständigkeiten.

Es passiert plötzlich und mitten in den sensibelsten Phasen des Flugbetriebs: Eine Drohne wird in der Nähe eines Flughafens gesichtet – beim Anflug, beim Start oder direkt über dem Vorfeld. Mit dem Fernglas suchen Fluglotsen im Tower den Horizont nach dem kleinen Fluggerät ab. Die Polizei wird informiert, Maschinen werden umgeleitet, Starts ausgesetzt, das Terminal gesperrt. Es folgen Betriebsunterbrechungen, Verspätungen – und bei Fluggästen ein mulmiges Gefühl.

Immer mehr Drohnen-Vorfälle – auch an ostdeutschen Airports

Diese Szenen spielen sich in Deutschland immer häufiger ab. Zahlen der Deutschen Flugsicherung (DFS) zufolge gab es alleine dieses Jahr bis Ende September bereits 172 gemeldete Behinderungen des Flugverkehrs durch Drohnen. Das ist der höchste Wert seit Einführung der Statistik vor zehn Jahren. Im gesamten Jahr 2024 waren es demnach 161 Fälle, 2020 noch nicht einmal 100.

Besonders häufig wird aus Frankfurt am Main berichtet: 37 Sichtungen bis Ende August machen den größten Einzelanteil aus. In Ostdeutschland sind die Zahlen zwar weniger dramatisch, nehmen aber ebenfalls zu: So kam es dieses Jahr am BER bereits sechs Mal zu Störungen durch Drohnen, Leipzig/Halle meldete ebenfalls sechs Vorfälle, Dresden fünf.

Im Extremfall werden dann keine Start- und Landefreigaben mehr erteilt, was einer Flughafenschließung gleichkommt, erklärt ein Sprecher der DFS im Gespräch mit Luftraum Ost. Zuletzt war Anfang Oktober München mehrfach betroffen; Tausende Passagiere strandeten oder wurden umgeleitet.

Politik reagiert mit neuen Gesetzen

Die Politik gerät deshalb zunehmend unter Zugzwang – und setzt auf eine gesetzliche Neuregelung. Die Bundesregierung hat am 8. Oktober den Entwurf für eine umfassende Reform des Bundespolizeigesetzes beschlossen. Darin soll ein neuer Paragraf eingefügt werden, in dem es heißt: „Zur Abwehr einer Gefahr, die von unbemannten Fahrzeugsystemen ausgeht, die an Land, in der Luft oder zu Wasser betrieben werden, kann die Bundespolizei geeignete technische Mittel gegen das System (…) einsetzen, wenn die Abwehr der Gefahr durch andere Maßnahmen aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

Wir befinden uns in einem technologischen Wettrüsten zwischen Drohnenbedrohungen und Drohnenabwehr – im hybriden wie im militärischen Bereich.
Alexander Dobrindt (CSU) | Bundesinnenminister

Der Gesetzentwurf liegt Luftraum Ost vor und wurde bereits in einer ersten Fassung im August – also schon Wochen vor den zuletzt diskutierten Drohnen-Vorfällen in München – vom Onlineportal netzpolitik.org veröffentlicht. Demnach soll die Bundespolizei selbst Drohnen (Im Entwurf als „mobile Sensorträger“ bezeichnet) einsetzen können. Noch in diesem Jahr sollen die Spezialeinheiten der Bundespolizei deshalb um eine Drohnenabwehreinheit ergänzt werden.

Zwar steht noch die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat aus, Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bezeichnet die Reform des Bundespolizeigesetzes aber schon jetzt als einen „großen Wurf“.

Klein, schwer zu orten – aber hochgefährlich

Im Crashtest der University of Dayton durchschlägt eine Drohne die Tragfläche eines Leichtflugzeugs – mit potenziell fatalen Folgen.

Das Problem der Drohnen: Sie sind oft sehr klein und können weder vom Bordradar der Flugzeuge noch vom Radar der Fluglotsen zuverlässig erfasst werden. Allerdings kann eine Kollision mit einer Drohne ein Flugzeug schwer beschädigen. Das haben Wissenschaftler der University of Dayton in einem Crashtest nachgewiesen.

Die Forscher feuerten eine Amateurdrohne auf die Tragfläche eines Leichtflugzeugs. Dabei drang die Drohne so tief in die Struktur der Tragfläche ein, dass sie eine Querstrebe beschädigte. Wäre es in der Luft zu dieser Kollision gekommen, hätte das fatale Folgen für die Sicherheit des Flugzeugs gehabt.

Fernglas statt High-Tech

Doch ehe die Bundespolizei die Drohnen vom Himmel holen kann, müssen diese erst einmal entdeckt werden. Deshalb haben Piloten und Fluglotsen schon seit Jahren ein wachsames Auge auf den Luftraum, den sie kontrollieren oder durch den sie fliegen. Abgesehen vom Fernglas oder – im Falle der Remote Tower – dem Kamerazoom gebe es derzeit aber keine flächendeckend genutzten technischen Möglichkeiten, Drohnen zu erkennen, erklärt der DFS-Sprecher im Gespräch mit Luftraum Ost: „Wir können nur reagieren, wenn jemand etwas sieht – und das ist meistens ein Pilot.“

Im ZIB2-Podcast des ORF analysiert die Drohnenexpertin Ulrike Franke die gehäuften Drohnensichtungen in Europa und mahnt, dass die Drohnen bestenfalls vom Himmel geholt werden müssen.

Auch die Drohnenexpertin Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations sieht Deutschland in der Erkennung der Drohnen schlecht aufgestellt. Im Gespräch mit dem SPIEGEL erklärte sie Ende September: „Es gibt zwar Systeme zur Detektion und Abwehr hierzulande, auch bei der Polizei, aber nicht ausreichend in der Fläche, sondern eher vereinzelt.“ Sie verweist auf verfügbare Abwehrmittel von elektronischem Stören über Fangnetze bis hin zu kinetischen Lösungen – die müssten nun beschafft und sinnvoll integriert werden. Flughäfen, so vermutet Franke weiter, hätten die ökonomische Relevanz bisher unterschätzt, um in Abwehrsysteme zu investieren.

Der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) widerspricht der Darstellung Frankes. Luftraum Ost teilte der Branchenverband mit, dass Maßnahmen zur aktiven Drohnenabwehr ausschließlich durch Bundes- oder Landespolizei getroffen werden dürfen. Flughäfen und Flugsicherung seien daher auf enge Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden angewiesen – und könnten lediglich unterstützen, aber nicht selbst eingreifen.

Föderales „Wirrwarr“ der Zuständigkeiten

Auch die Bundespolizei beschreibt auf Anfrage von Luftraum Ost komplexe Zuständigkeiten: Die Drohnenerkennung sei Sache der DFS, der Flughafenbetreiber, der Landesluftsicherheitsbehörden sowie der Landes- und Bundespolizei. Für die Bekämpfung der Drohnen über dem Flughafen ist dann ausschließlich die Bundespolizei verantwortlich, im Umfeld der Flughäfen hingegen die jeweils zuständige Landespolizei. Um die Verwirrung komplett zu machen, gelten an Flughäfen, die nicht in der Zuständigkeit der Bundespolizei liegen, noch einmal ganz andere Regeln – dort übernehmen ausschließlich die Landesluftsicherheitsbehörden die Drohnenabwehr.

Manuel Atug ist IT-Sicherheitsberater und Sprecher der AG KRITIS. Er engagiert sich seit Jahren für den Schutz kritischer Infrastrukturen und Cybersicherheit in Deutschland. (Foto: Katrin Chodor Photography)

Ein Durcheinander, das langfristig noch für Probleme sorgen könnte, befürchtet Manuel Atug, Gründer und Sprecher der unabhängigen Arbeitsgemeinschaft Kritische Infrastruktur (AG KRITIS): „Das funktioniert nur so lange gut, wie nichts wirklich Schlimmes passiert. Aber beim ersten echten Angriff ist das Chaos vorprogrammiert – weil keiner weiß, wer das letzte Wort hat.“


Was ist Kritische Infrastruktur (KRITIS)?

Kritische Infrastrukturen sind Organisationen, Anlagen oder Systeme, die für das Gemeinwesen von essenzieller Bedeutung sind. Ihr Ausfall oder ihre Beeinträchtigung hätte schwere Folgen für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Versorgung.

Dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zufolge zählen dazu neun Bereiche:

  • Energie (z. B. Strom- und Gasversorgung)
  • Wasser (Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung)
  • Ernährung (Lebensmittelproduktion und -versorgung)
  • Informationstechnik und Telekommunikation (Netze, Dienste)
  • Transport und Verkehr (Straßen, Schienen, Luftverkehr, Häfen)
  • Gesundheit (Krankenhäuser, Notfalldienste, Arzneimittelversorgung)
  • Finanz- und Versicherungswesen
  • Staat und Verwaltung (Behörden, Parlamente, Justiz)
  • Medien und Kultur (Presse, Rundfunk, kulturelles Erbe)

Deshalb hat Atug für die aktuelle Situation auch kein Verständnis. Im Gespräch mit Luftraum Ost beschreibt er die Situation als ein „Wimmelbild der Verantwortungsdiffusion“ und erklärt: „Es gibt keine eindeutige Linie: Die verschiedenen Polizeibehörden dürfen, aber nicht überall und die Abstimmung ist unzureichend. Die DFS sieht etwas, aber darf nicht handeln. Der Flughafen hat einen Plan, aber keine Mittel und keine gesetzlichen Anforderungen.“

Neue Regeln, alte Probleme

Ob ein reformiertes Bundespolizeigesetz oder das Anfang September im Bundeskabinett beschlossene KRITIS-Dachgesetz hier Ordnung bringen, wird von vielen Beobachtern bezweifelt. Auf Nachfrage von Luftraum Ost räumt auch eine Sprecherin des Bundesinnenministerium ein, dass Bund und Länder, aber auch Flughafenbetreiber besser zusammenarbeiten müssen. Wie diese bessere Zusammenarbeit realisiert werden soll, wollte die Sprecherin aber nicht sagen.

Unterdessen kündigte Innenminister Dobrindt an, dass ein geplantes Drohnenabwehrzentrum von Bund und Ländern noch in diesem Jahr in Betrieb gehen soll. Dort sollen die Kompetenzen von Bund, Ländern und der Bundeswehr gebündelt werden, um die polizeiliche und militärische Drohnenabwehr enger zu verzahnen und neue Abwehrfähigkeiten zu entwickeln.

Dieser Schritt kommt den Flughafenbetreibern entgegen. Denn auch der Flughafenverband ADV fordert die Einrichtung von Lagezentren auf Bundes- oder Landesebene, um anfliegende Drohnen frühzeitig erkennen und darauf reagieren zu können. Für Manuel Atug von der AG KRITIS ist das aber der zweite Schritt vor dem ersten: „Wir haben kein öffentlich verfügbares Lagebild für die Risikobewertung der KRITIS-Betreiber, wir haben keine gesetzliche Vorgabe der Detektion und Reaktion im kommenden KRITIS-Dachgesetz – aber wir haben Stuhlkreise und geheim gehaltene Lagebilder.“

Bundeswehr im Inland? Dobrindts umstrittener Plan

Parallel arbeitet das Innenressort an einem weiteren Gesetz, das künftig auch der Bundeswehr den Abschuss von Drohnen im Inland erlauben soll. Dazu will der CSU-Minister Dobrindt schon bald einen Entwurf für ein neues Luftsicherheitsgesetz vorlegen. Details wollte sein Ministerium in dieser Woche auf Nachfrage aber noch nicht mitteilen.

Die Ankündigung Dobrindts stößt bislang auf gemischte Reaktionen. Während CDU und Teile der FDP den Vorstoß begrüßen, warnen insbesondere SPD und Grüne vor einer Aufweichung der verfassungsrechtlich festgelegten Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit.

Elektronischer Luftkampf: Die Bundeswehr ist schon seit einigen Jahren technisch in der Lage, Drohnen abzufangen. In dem Video wird ein Anti-Drohnen-Störsender vorgestellt, ein sogenannter Jammer.

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Falko Droßmann, sagte dem SPIEGEL, es sei für die Bundeswehr „schlicht nicht zu schaffen, jetzt auch noch die Aufgaben der Polizei in Deutschland zu übernehmen.“ Ähnlich sieht das der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz. Er spricht sich stattdessen für eine Ertüchtigung der Bundespolizei aus: „Die Bundespolizei hat grundsätzlich die Fähigkeit, diese Aufgabe zu übernehmen – natürlich braucht sie dafür die notwendige technische Ausstattung.“

Anders sieht das der Staatsrechtler Matthias Herdegen. Dem SPIEGEL erklärte der Jurist, es brauche keine Gesetzesänderung, damit die Bundeswehr mutmaßliche feindliche Drohnen abschießen darf. Das sei bereits jetzt vom Verteidigungsauftrag umfasst.

Ob verfassungsrechtlich möglich oder nicht – Sicherheitsexperte Manuel Atug glaubt nicht an die Effektivität von Dobrindts Vorstoß und warnt vor reiner Symbolpolitik: „Die Bundeswehr zum Abschießen – das ist populistischer Aktionismus, aber in der Praxis weitgehend nutzlos. Wenn jemand mit böser Absicht handelt, fliegt die Drohne ohnehin direkt rein. Da hilft keine Bundeswehr im Inneren – da hilft nur die ganzheitliche Sicherheitskette von Prävention, Detektion und Reaktion. Bei KRITIS-Betreibern wie Flughäfen und DFS aber auch den Polizeibehörden.“

Statt martialischer Maßnahmen fordert Atug daher einen realistischen, technisch fundierten Ansatz: „Wir brauchen klare Prozesse, saubere rechtliche Grundlagen und Technik, die zur Lage passt – keine Showeffekte und verfassungsrechtlich schwer bedenkliche Verantwortungsdelegation von inneren Angelegenheiten an das Militär.“

Forschung statt Fernglas: Das DLR-Projekt CUSTODIAN

Während die behördlichen Zuständigkeiten weiter unübersichtlich bleiben, arbeitet das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bereits an konkreten technischen Lösungen. Im Projekt CUSTODIAN verfolgen zwölf DLR-Institute ein Ziel: Drohnen erkennen, abwehren – und das möglichst automatisch.

Im Nationalen Erprobungszentrum für unbemannte Luftfahrtsysteme in Cochstedt in Sachsen-Anhalt testen Forscher dem DLR zufolge, wie fremde Drohnen verfolgt, gestört oder eingefangen werden können. Dabei kommt ein ganzes Arsenal zum Einsatz: automatische Abfangdrohnen, die feindliche Systeme rammen oder mit Netzen einfangen; Navigationsmanipulationen, die Drohnen zur Landung zwingen; oder Störsignale, die Steuerverbindungen unterbrechen.

„Angesichts der sich verändernden Sicherheitslage müssen wir unsere Kompetenzen bündeln“, sagt DLR-Vorstandsvorsitzende Anke Kaysser-Pyzalla. Cochstedt spiele dabei eine Schlüsselrolle: „Hier testen wir unbemannte Systeme im realen Einsatz – und entwickeln konkrete Abwehrmaßnahmen.“ Ziel sei es, Technologien so zu bewerten, dass sie später in Behörden integriert werden können.

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